Lindheimer Hexenturm

Lindheimer Hexenturm

Vor gut 150 Jahren war der „Hexenturm“ in Lindheim eines der bekanntesten Gruselgemäuer Deutschlands. Schuld daran war ein Buch des Ortspfarrers Ludwig Oeser mit dem Titel „Die Schreckensjahre von Lindheim“, das er unter dem Pseudonym O. Glaubrecht geschrieben hatte und zu einem Bestseller der Bieder-meierzeit geriet. Es handelt vom dunkelsten Kapitel in der langen Geschichte des malerischen Ortes, von den Jahren zwischen 1634 und 1664, in denen hier an die zwei Dutzend ehrsame Bürgerinnen und Bürger wegen Hexerei hingerichtet wurden. Wobei es mehr um die Jahre 1663 und 64 geht, in denen ein grausamer und habgieriger Amtmann namens Geis die Bevölkerung terrorisierte. Allein in diesen 9 Monaten mussten 20 unschuldige Opfer sterben, nachdem man sie gefoltert, verurteilt und in eben diesem Turm eingekerkert hatte. 

Das mittelalterliche Bauwerk ist ein Relikt der wehrhaften Stadtbefestigung aus dem 13. Jahrhundert, genau wie der klobige Glockenturm nur ein paar Schritte weiter neben der Kirche am Nidderufer, der seine mehrstufige Haube ja erst vor 250 Jahren erhielt. Ursprünglich hatte das düstere Gefängnis drei Geschosse, ein oberstes Stockwerk mit winzigen Zellen für die Gefangenen, in der Mitte den Eingangs-bereich, zu dessen hochgelegenem Zugang eine Leiter hinauf führte, und unten ein fensterloses Verließ, in das die Allerärmsten „geworfen“ wurden - wenn man sie nicht angekettet über ein Feuer hängte, das in der Tiefe schwelte, wie es Oeser in seinem Schauerroman berichtet. Die Verurteilten wurden dann oft direkt vor dem Turm gehenkt, verbrannt oder enthauptet, am 25. August 1663 beispielsweise 5 Frauen und 4 Männer an einem einzigen Tag.
Der seither „Hexenturm“ genannte zinnengekrönte Rundbau steht im Park eines Schlosses, das 1694 erbaut wurde und verschwunden ist, weil es 1929 bis auf die Grundmauern abbrannte. Ein späterer Besitzer, der enge Beziehungen zur Herrnhuter Brüdergemeinde hatte, pflanzte dort seltene exotische Bäume, die ihm die Jünger des Grafen Zinzendorf aus aller Welt schickten, so dass der Park zu seiner Zeit immerhin so berühmt war, dass sogar Alexander v. Humboldt extra zur Besichtigung anreiste. Die Turmruine hatte inzwischen die neue Schlossherrin Marie v. Venningen restaurieren und ebenerdig eine zusätzliche Pforte durchbrechen lassen, um sich im einstigen Schreckenskeller ein romantisches Badezimmer einzurichten. Ein halbes Jahrhundert drauf kam der Turm jedoch erneut zu literarischen Ehren, als 1868 eine gewisse Hulda Meister die zu einem Landhaus umgebaute ehemalige Remise des Schlosses kaufte. Sie wollte damit ihrem späteren Ehemann einen ruhigen Zufluchtsort verschaffen, und der hieß Leopold v. Sacher-Masoch… ja, ebendieser viel geschmähte Schriftsteller, der in seinen Romanen gern das beschrieb, was man nach ihm „Masochismus“ benannte. Der weltberühmte Mann zog sich oft hier her zurück, ließ sich von dem unheimlichen Gemäuer inspirieren und nutze es als Kulisse für Theateraufführungen, die er mit Frau und Freunden im Schlosspark aufführte. 

An diese kulturelle Tradition knüpft das „Notturno am Hexenturm“ an, ein stimmungsvolles Open-Air-Konzert mit Kammermusikern aus Frankfurt. Die Familie Demandt, die heute den letzten Wohnsitz des Skandalautors bewohnt, öffnet dafür alljährlich im Juli den Schlosspark und lässt dann den berüchtigten Turm im wahrsten Sinne des Wortes in neuem Licht erscheinen. Nur die Gedenktafel am Torbogen mit den Namen aller Opfer, die einst hier gelitten haben, erinnert für immer an seine schreckliche Vergangenheit.